Warum überhaupt meditieren?
Im letzten Artikel haben wir die Bedeutung der Aufmerksamkeit in unserem täglichen Leben betrachtet und wie sie unsere Wahrnehmung und Entscheidungen beeinflusst. In dieser Fortsetzung fokussieren wir uns auf die Meditation selbst – eine Praxis, die nicht nur unsere Fähigkeit zur Aufmerksamkeit stärkt, sondern auch unser Bewusstsein für den Moment schärft.
Meditation ist eine empirische Wissenschaft zur systematischen Schulung unseres Geistes. Es ist wichtig unser Dasein ganzheitlich zu Betrachten. Unsere persönliche Entwicklung als Mensch mit Blick auf Körper, Geist und Seele ebenfalls auf den Wahrnehmungsradar zu nehmen.
In den 1960er Jahren rückte das Körperbewusstsein zunehmend in den Vordergrund. Fitness und Schönheitsideale gewannen mit Durchbruch des Joggings – von den Wäldern und Sportplätzen auf die Straßen dieser Welt – bis heute immer mehr an Bedeutung. Die Beliebtheit von Fitnessclubs zeugt in dieser Ära des visuellen Schönheitskults bis heute von einer starken Orientierung an körperlichen Idealen. Dazu zählt auch der verwandte Bereich der gesunden Ernährung und Biohacking.
Pascal Herth, geboren 1975, ist Meditationstrainer, Mental Coach und Podcast-Produzent. Ursprünglich Toningenieur, vertiefte er sein Interesse an Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung durch Führungsseminare, Pilgerreisen, systemische Aufstellungen und eine NLP-Ausbildung. Inspiriert durch das Buch „Denken wird überschätzt“, widmete er sich ganz der Meditation, absolvierte eine 1,5-jährige Meditationsausbildung und nahm an Schweigeretreats sowie Klausuren in Dunkelheit teil. Heute studiert er buddhistische Philosophie & Geisteswissenschaften. Er lebt mit seiner Familie bei Köln. meditiationscoach.de
Inzwischen kann man eine zunehmende Sättigung in diesem Bereich wahrnehmen, während gleichzeitig scheinbar ausweichend mehr und mehr Themen wie Achtsamkeit, Mindfulness und Bewusstsein in den Vordergrund rücken. Es scheint, es findet ein Bewusstseinswandel in der westlichen Gesellschaft statt. Die materielle, endliche Welt scheint ausgereizt, und es drängt die Menschheit zu neuen Ufern und der Erforschung der unendlichen Weiten des eigenen Bewusstseinuniversums. Die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz scheint diese Entwicklung noch zu fördern.
Nun mag einmal mehr gefragt sein, was uns als Menschen eigentlich auszeichnet. Qualitäten wie Kreativität, Intuition und Bewusstsein treten in den Vordergrund, Kognitives und Rationales erledigt in Zukunft der Bot für uns.
Meditation ist weit mehr als nur eine Stressbewältigungstrategie. Meditation bedeutet Lebensbejahung und feiert das Leben. Sie kann dich gleichermaßen in Stille und Entspannung, wie in deine Kraft, Lebendigkeit und Kreativität führen.
Meditation fördert unsere emotionale Stabilität, Gelassenheit, Konzentration und Zufriedenheit. Die regelmäßige Praxis wirkt sich positiv auf unsere Resilienz und unser psychisches und physisches Empfinden aus.
Die Meditationspraxis im tibetischen Buddhismus
Meditieren, um glücklich zu sein – das wollen die meisten Menschen im Westen, die sich östlichen Traditionen zuwenden. Über Glück und Leiden entscheidet nach den Lehren des Buddha hauptsächlich der Geisteszustand. Wie wir unsere Erfahrungen interpretieren, welche Absichten wir haben und welche Emotionen bei uns vorherrschen, prägt die Qualität unseres Lebens, unser Handeln und unsere Beziehungen.
Heilsame, von Mitgefühl geprägte Einstellungen führen zu Glück, während unheilvolle, destruktive Ausrichtungen Schwierigkeiten bringen. Doch darauf achten wir in unserer westlichen Kultur eher wenig. Den größten Teil des Tages verbringen wir damit, die äußere Welt so zu manipulieren, zu kontrollieren und zu gestalten, dass sie uns angenehm erscheint. Im besten Fall wird uns bewusst, dass dies ein sehr mühevolles Unterfangen mit vielen Hürden und Widerständen sein kann. Dies fordert von uns – im Gegensatz zu einer mehr introspektiven Beobachtung und einer Gestaltung des Lebens aus dem Innen heraus – vergleichsweise viel an Lebensenergie.
Die zunehmenden Ablenkungen und Reize unserer hochtechnologischen und globalisierten westlichen Welt können uns belasten, wenn wir sie uns nicht bewusst machen. Es verfolgt einen zunehmend das subtile Gefühl etwas im Leben zu verpassen, nicht alles ausgeschöpft zu haben und fühlt sich unbewusst dazu gedrängt den Alltag mit immer mehr Arbeit und / oder Freizeitaktivitäten zu füllen, gar zu überfüllen. Psychischer Stress entsteht.
Diese Situation können wir ändern, denn der Geist mit seinen Gedanken und Emotionen ist in ständigem Wandel begriffen. Er ist formbar und mit Hilfe der Meditation können wir ihn gezielt schulen und ihn auf das für uns Wesentliche fokussieren. Das tibetische Wort für die Meditation heißt „gom”, was soviel bedeutet wie „sich mit etwas vertraut machen”. Wir machen uns also mit uns selbst vertraut. Mit unseren inneren Prozessen, Gedanken, unseren Körperempfindungen, unseren Gefühlen, unseren Glaubenssätzen nach denen wir leben, unsere Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Qualitäten.
Der Geist
Meditationsgegenstand ist der Geist. Ziel der Meditationspraxis ist es, den noch verwirrten, unsortierten, aufgewühlten und widerspenstigen Geist zu einem freien, ruhigen und klaren Geist werden zu lassen.
Als plakativer Vergleich vielleicht im Zusammenhang mit dem Thema Körperkult: weg von einem trägen, fettleibigen – hin zu einem gesunden, trainierten und klaren Geist. Meditieren bedeutet den Geist zu meistern und sich auch mit einem neuen unbeschränkten Verständnis der Welt vertraut machen zu können. Wir dürfen eine Seinsqualität kultivieren, eine Art und Weise zu sein, die nicht mehr unseren gewohnten Denkmustern unterliegt.
Frei sein bedeutet Herr seiner selbst zu sein. Dies gibt uns die Möglichkeit unser Leben selbst in die Hand zu nehmen, statt es den tief von uns selbst programmierten Gewohnheiten und Verhaltensmustern zu überlassen. Das soll nicht heißen, dass unsere Gewohnheiten und Verhaltensmuster prinzipiell schlecht sind, vielmehr gilt es sich dieser Muster bewusst zu werden, für sich zu sortieren, anzunehmen und – wenn es einem dann beliebt – zu verändern.
Meditation soll uns zu einer klaren Sicht der Wirklichkeit verhelfen. Nicht der Realität zu entfliehen. Im Gegenteil. Die Wirklichkeit genau so wahrzunehmen, wie sie im Alltag tatsächlich ist. Sie soll uns verhelfen die tieferen Ursachen unseres Leids zu entlarven und die geistigen und emotionalen Verwirrungen aufzulösen, die uns dazu bringen das Glück da zu suchen (im Außen), wo es nicht zu finden ist.
Eine empirische Methode also, die es ermöglicht, geistige Klarheit, Achtsamkeit, innere Freiheit, selbstlose Liebe und Mitgefühl zu entwickeln.
Es ist dabei unerlässlich, dass jeder für sich selbst den Wert dieser Erkenntnisse und Eigenerfahrungen herausfindet, sich selbst beobachtet und überprüft. Wir lernen somit kompromisslos Verantwortung über Ursache und Wirkung unseres Denkens und unseres Handelns zu übernehmen. Denn jeder noch so kleine Gedanke und jede Handlung führt zu Ergebnissen, dessen Konsequenzen wir verantworten.
Damit leben wir automatisch mehr in unserer eigenen Macht, weniger in wie auch immer gearteten Abhängigkeiten.
Eile verträgt sich dabei schlecht mit Meditation, denn jede tiefgehende Wandlung benötigt ihre Zeit. Das Gehirn, die neuronalen Netze, der Geist und die körpereigenen Zellen sind mit steigendem Alter schon tiefgreifend konditioniert oder programmiert. Eine individuelle Transformation hin zu einem neuen Selbst braucht seine Zeit und vor allem Geduld und Selbstliebe.
Wir müssen uns deswegen keine Fristen setzen. Zu wissen, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen reicht völlig aus. Nach Monaten oder Jahren werden wir erkennen, dass wir uns auf tiefgreifende Weise gewandelt haben.